Über kaum ein anderes Thema spricht man so emotional wie über die Geburt. Bevor man selbst ein Kind auf die Welt gebracht hat, ist es das ganz große Mysterium und zumindest bei mir reduzierte sich die Beobachtung auf das Schmerzempfinden der Frauen unter der Geburt und die Euphorie, wenn das Neugeborene nach vielen Stunden endlich auf der Welt war. Unklar war mir vor meinen eigenen Geburtserlebnissen immer, wozu -vor allem bei Geburtsberichten in Filmen – nach “heißen Tüchern” gerufen wurde. Inzwischen habe ich nun schon drei eigene Geburten erlebt, die so völlig anders als meine Erwartungen waren, und zwei wunderbare Kinder an meiner Seite. In diesen Tagen warten wir außerdem voll Vorfreude auf das erste Kind meiner Schwägerin. Viele Erinnerungen und Gedanken gehen daher durch meinen Kopf und ich freue mich, dass passend dazu “Das Geburtsbuch” von Nora Imlau bei Beltz auf meinem Rezensionstisch gelandet ist. Nicht nur die Autorin ist mir durch ihre journalistischen Beiträge bekannt, sondern auch Herbert Renz-Polster der das Nachwort geschrieben hat und mit seinem Gesundheit-für-Kinder-Standardwerk unser Wegbegleiter durch alle Erkrankungen unserer Kinder ist.
Abbildung von Beltz |
Das Ende April 2016 neu erschienene, 287 Seiten umfassende Buch, das diese besonderen Emotionen der Frau thematisiert, ist in drei Hauptkapitel untergliedert. Im Teil 1 mit dem Schlagwort “Vorbereiten” geht es um “Das Geheimnis der Geburt”, Teil 2 unter “Vorbereiten” zeigt “10 Wege, ein Kinder zur Welt zu bringen” aber auch “Besondere Geburten” und Teil 3 mit “Verarbeiten” richtet sich mit “Wie Mütter an ihren Erfahrungen wachsen” an alle Frauen, die bereits ein Kind geboren haben. Damit schafft Nora Imlau den Spagat, sich in diesem Buch, das als medizinischer Beirat die Hebamme Sabine Pfützner unterstützt hat, sowohl an Frauen zu richten, die das erste Mal ein Kind bekommen, wie auch an alle, die ein weiteres Kind erwarten oder sich mit dem Erlebten auseinandersetzen möchten. Der Schwerpunkt des Buches liegt aber beim Bereich “Erleben”, der mit 150 Seiten am umfangreichsten ist. Die drei Themenbereiche sind in den Anfangseiten der Kapitel farblich gestaltet, wobei diese Farbe auf jeder Seite im unteren Bereich weitergeführt wird. Von unten betrachtet, sieht das Buch daher sehr farbenfroh aus. Zunächst gibt es kleinen Seitenblock in Sonnengelb, es folgt der umfangreiche Bereich in Pink und den Abschluss bildet ein Lindgrün.
Neben dieser Farbgestaltung und den beeindruckenden schwarz-weiß-Fotos von Kertin Pukall ist das Buch sehr textlastig aufgebaut und wird nur durch wenige Grafiken und Tabellen sowie im Erleben-Abschnitt durch kursivgesetzte Erfahrungsberichte, die mit Farbfeldern hinterlegt sind, aufgelockert. Obwohl die Autorin sich bereits im Vorwort als “echter Hausgeburts-Fan” bezeichnet, schafft sie es, wertungsfrei auf die verschiedenen Geburtsvarianten einzugehen. Dennoch bleibt sie kritisch genug, um die inzwischen auch in Deutschland erschreckend hohe Rate an Kaiserschnittgeburten von 33% kritisch zu hinterfragen. Selbst die WHO geht davon aus, dass diese Geburtsvariante eigentlich nur bei 10 bis 15 Prozent liegen dürfte. (S. 62) Da hier eine Journalistin die Autorin ist, werden noch weitere Zahlen geliefert. Während eine natürliche Geburt ohne medizinische Eingriffe “nur” 600 Euro bringt, zahlen die Krankenkassen bis zu 4000 Euro für einen Kaiserschnitt. Einmal mehr hat mich bei der Lektüre des Buches daher die Aussage schockiert, dass Geburtsabteilungen interne Kaiserschnittquoten haben sollen, um wirtschaftlich zu arbeiten. (S. 68)
Dieses Buch will offensichtlich dieser Entwicklung entgegenwirken, denn es ist eine Anleitung, die helfen kann, selbst beim ersten Kind eine selbstbestimmte Geburt zu planen. Sie zeigt die vielen verschiedenen Geburtsvarianten von der Alleingeburt, über die natürliche Geburt in der Klinik bis zum Wunschkaiserschnitt. Es werden jeweils die Gründe -“gute” bei den natürlichen Varianten, “typische” bei denen, mit medizinischem Eingriff – und Checklisten aufgezählt, sowie viele Hinweise und Tipps gegeben. In jedem Kapitel ist jedoch die positive Grundeinstellung zum natürlichen Ereignis Geburt zu spüren und so kann das Buch dazu beitragen, Angst zu nehmen.
Und meine eigenen Geburten? Wer meinen Blog und damit auch ein bisschen meine Lebenseinstellung kennt, wird wissen, dass ich mir – im Gegensatz zum Mann an meiner Seite – nicht nur eine Hausgeburt oder wenigstens Geburtshausgeburt sondern sogar eine Alleingeburt vorstellen könnte. Meine jeweils schweren Nachblutungen, mehrere Stunden nach der Geburt, die mich in allen Fällen in eine lebensbedrohliche Situation gebracht haben, führen aber dazu, dass ich mir diesen Lebens(start)traum nicht erfüllen kann. Umso dankbarer bin ich , dass ich – neben einigen wenigen Einschränkungen – mit meinen Krankenhausgeburten sehr zufrieden bin und ich beim Sohn noch ein bisschen mehr als bei der Tochter eine selbstbestimmte Geburt erleben konnte – ohne medizinische Eingriffe, ohne Beschleunigung der Plazentalösung, mit auspulsierender Nabelschnur und einer eigenen Entscheidung, an welchem Tag mein Kind das erste Mal angezogen wurde. Meine eigenen Sonderfälle – Spätatonie und auch die möglichen Komplikationen, die bei einem Sternenkucker, wie es der Sohn war, auftreten können – findet man in diesem Buch nicht. Da aber beides bei Frauen die Angst vor der Geburt eher erhöhen könnten, finde ich das kein Manko des Buches. Dafür bin ich mir sicher, dass das Geburtsbuch bald auf vielen Lesetischen und Hebammenpraxen liegen wird und neben der Lektüre des Textes der Autorin vor allem auch das – wie immer – großartige Statement von Herbert Renz-Polster möglichst viele Schwangere lesen.
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